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Ampel-Koalition: Das kommt jetzt auf Unternehmen zu

Steuern, Super-Abschreibungen, Gründungsförderung und Zukunftsinvestitionen: Was bedeuten die Pläne der Fortschrittskoalition für Gründer und kleine Unternehmen? Der Beschluss des Sondierungspapiers von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP ebnet den Weg für eine mögliche Ampel-Regierung. Das sind die Leitplanken für Made in Germany 2.0.

Wandel gelingt durch Wissen

Mit 736 Sitzen bildet der bislang größte deutsche Bundestag das Herzstück der neuen Regierungskoalition.

Sondierungsbeschluss: Darin sind sich die Parteien einig

Nichts weniger als den Auftakt für ein Modernisierungsjahrzehnt markierten die Parteispitzen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP am vergangenen Freitag mit ihrem 12 Seiten umfassenden Sondierungsbeschluss. Inwieweit die von Einigkeit, gegenseitigem Respekt und Gestaltungswillen geprägten Absichtserklärungen der Regierungsanwärter auch die Koalitionsverhandlungen bestimmen, werden die kommenden Wochen erst noch zeigen. Fakt ist: Selten waren die Herausforderungen größer, das Spektrum der Lösungsvorschläge diverser und die Startbedingungen zusätzlich erschwert.

Zum Vergleich: Während die Große Koalition 2018 mit einem ausgeglichenen Bundeshaushalt in die neue Legislatur startete, muss die Nachfolgerregierung auf dem Rücken von 450 Milliarden Euro Corona-Schuldenlast für Aufbruchstimmung sorgen. 

Wer soll das bezahlen und wie genau? Diese Frage stellen sich viele der 95 % Kleinunternehmen in Deutschland, die mehr als 60 % aller Arbeitsplätze absichern. Corona-Maßnahmen, Flutkatastrophe und Wiederaufbau - Für Unternehmerinnen und Unternehmer bedeutet Aufbruch im Jahr 2021 zunächst Existenzsicherung und Daseinsvorsorge. Eine verlässliche Regierung, die Fortschrittskoalition sein will, beginnt hier ihren Wählerauftrag:

Wir sind eine Konstellation, die drei Parteien mit unterschiedlichen Traditionen und unterschiedlichen Sichtweisen zu einem innovativen Bündnis zusammenbringen kann. Wir können einen Beitrag leisten, politische Frontstellungen aufzuweichen und neue politische Kreativität zu entfachen. (...) Als Fortschrittskoalition können wir die Weichen für ein Jahrzehnt der sozialen, ökologischen, wirtschaftlichen, digitalen und gesellschaftlichen Erneuerung stellen.

- Auszug Sondierungsbeschluss

In diesem Sinne umfasst das Sondierungspapier nur solche Themen, über die die Verhandlungspartner vor Eintritt in die Koalitionsverhandlungen eine Vorfestlegung erreichen wollten. Nicht alle Themen wurden in den Sondierungen besprochen, nicht jedes Thema bis in die Einzelheiten diskutiert.

Die Debatte um die Wahl der Mittel zum Erreichen der gesetzten Ziele hat gerade erst begonnen. Bis zum Guss eines fertigen Koalitionsvertrages stehen spannende Wochen ins hohe Haus. Die Liste der folgenden Übereinkünfte bildet das inhaltliche Grundgerüst für alle kommenden Verhandlungen. 

Moderner Staat und digitaler Aufbruch

  • Mehr Innovation durch einen schlanken und schnellen Staat, der vorausschauend für die Bürgerinnen und Bürger arbeitet
  • Schnellere Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren (Verfahrensdauer mindestens halbieren.)
  • Notwendige Investitionen (z.B. in schnelles Internet oder Mobilität) insbesondere dort anpacken, wo der Nachholbedarf am größten ist (Stärkung des ländlichen Raums)
  • Lehren aus den mit Brüchen und Enttäuschungen verbundenen Erfahrungen ostdeutscher Bürgerinnen und Bürger in der Wendezeit, sollen im Zuge der anstehenden großen Transformationsprozesse in ganz Deutschland genutzt werden

Klimaschutz, neue Technologien und sozial-ökologische Marktwirtschaft

  • Der menschengemachte Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit 
  • Neue Geschäftsmodelle und Technologien können klimaneutralen Wohlstand und gute Arbeit schaffen
  • Das Klimaschutzgesetz wird noch im Jahr 2022 konsequent weiterentwickelt und ein Klimaschutz-Sofortprogramm mit allen notwendigen Gesetzen, Verordnungen und Maßnahmen auf den Weg gebracht
  • Alle Sektoren werden einen Beitrag leisten müssen, um Deutschland auf den 1,5 Grad Pfad zu bringen: Verkehr, Bauen und Wohnen, Stromerzeugung, Industrie und Landwirtschaft
  • Den Ausbau der Erneuerbaren Energien wollen die Parteien drastisch beschleunigen 
  • Alle geeigneten Dachflächen sollen künftig für Solarenergie genutzt werden. Bei gewerblichen Neubauten soll dies verpflichtend, bei privaten Neubauten soll es die Regel werden. (Konjunkturprogramm für Mittelstand und Handwerk)
  • Der beschleunigte Ausstieg aus der Kohleverstromung gelingt idealerweise schon bis 2030; vom Strukturwandel betroffene Regionen stärken die Maßnahmen des Strukturstärkungsgesetzes (Niemand wird ins Bergfreie fallen.)
  • Die Finanzierung der EEG-Umlage über den Strompreis soll Im Laufe der Legislaturperiode so schnell wie möglich beendet werden, um die Stromkosten für private Haushalte und Betriebe zu senken
  • Unterstützung für die Vorschläge der EU-Kommission, in Europa ab 2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zuzulassen - entsprechend früher in Deutschland
  • Deutschland soll Leitmarkt für Elektromobilität werden mit einem gleichzeitigen massiven Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur
  • Förderung der Entwicklung intelligenter Systemlösungen für den Individualverkehr und den ÖPNV
  • Kein generelles Tempolimit
  • Wirksame Maßnahmen zum Schutz der Artenvielfalt und der Natur, u.a. durch Unterstützung von Landwirtinnen und Landwirten beim Umbau ihres Betriebs in ein nachhaltiges, umwelt- und naturverträgliches Unternehmen, das gleichzeitig ein langfristig auskömmliches Einkommen sichert; Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf das notwenige Maß beschränken; Tierwohl durch tiergerechte Haltung sicherstellen

Respekt und Chancen in der modernen Arbeitswelt

  • Tarifautonomie, die Tarifpartner und die Tarifbindung stärken für faire Löhne in Ost und West 
  • Mehr flexible Arbeitszeitmodelle schaffen
  • Weiterbildung und berufliche Qualifizierungsmöglichkeiten stärken
  • Neue Instrumente zur Unterstützung der lebenslangen Aus- und Weiterbildung (z.B. Lebenschancen-BAföG)
  • Selbstständigkeit soll durch bessere Gründungsförderungen wieder attraktiver werden
  • Verbesserung der Absicherung für (Solo-)Selbstständige soll erreicht werden

Tarifbindung, Mindestlohn und Minijobs

  • Der gesetzliche Mindestlohn soll im ersten Jahr in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro pro Stunde steigen; anschließend entscheidet die Mindestlohnkommission über etwaige weitere Erhöhungsschritte
  • Verbesserungen für Mini- und Midi-Jobs durch u.a. den Anstieg der Midijob-Grenze auf 1.600 Euro; die Minijob-Grenze liegt nach Anhebung des Mindestlohns und bei einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden künftig bei 520 Euro 

Gezielte Zuwanderung

  • Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll praktikabler ausgestaltet werden
  • Punktesystem als zweite Säule zur Gewinnung von qualifizierten Fachkräften soll eingeführt werden
  • Schnellere Asylverfahren für gut integrierte sich selbst unterhaltende Einwandernde
  • Spurwechsel ermöglichen und Integrationsmöglichkeiten verbessern

Absicherung, Rente und private Vorsorge

  • Die gesetzliche Rente wird gestärkt, das Mindestrentenniveau von 48 Prozent ist sicher, es wird keine Rentenkürzungen und keine
    Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben 
  • langfristige Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz durch teilweise Kapitaldeckung der Gesetzlichen Rentenversicherung ab 2022
  • grundlegende Reformierung des bisherigen Systems der privaten Altersvorsorge durch ein vorbehaltliches Angebot eines öffentlich verantworteten Fonds mit einem effektiven und kostengünstigen Angebot mit Abwahlmöglichkeit
  • Anerkennung privater Anlageprodukte mit höheren Renditen als Riester sollen geprüft werden. Eine Förderung soll Anreize für untere Einkommensgruppen bieten, diese Produkte in Anspruch zu nehmen.
  • Sparerpauschbetrag soll auf 1.000 Euro erhöht werden

Mehr Wettbewerbsfähigkeit durch Innovation

  • StartUp- und Gründerförderung stärken sowie Innovationsförderung und -Finanzierung entbürokratisieren
  • Unterstützung mittelständischer Unternehmen und Handwerksbetriebe bei der Bewältigung anstehender Herausforderungen durch z.B. qualifizierte Fachkräftestrategie
  • Faire Wettbewerbsbedingungen zwischen Geschäftsmodellen digitaler Großunternehmen und lokal verwurzelten Unternehmen
  • Digital gestützte Wertschöpfung in Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistung unterstützen 
  • Förderung regionaler Transformationscluster und Unterstützung in strukturschwachen Regionen
  • Mitarbeiterkapitalbeteiligung attraktiver machen, u.a. durch eine weitere Anhebung des Steuerfreibetrags
  • Erhöhung des Anteils der gesamtstaatlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 3,5 Prozent des BIP; mehr Ausgründungen aus Forschungsinstituten ermöglichen
  • Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) stärker als Innovations- und Investitionsagentur etablieren (z.B. Zukunftsfonds für Startups)
  • Projekte wie die Bundesagentur für Sprunginnovation weiter ausbauen
  • Sozialunternehmen oder Gesellschaften mit gebundenem Vermögen sind Bestandteil einer modernen Unternehmenskultur
  • Besserer Zugang zu Daten für StartUps und KMU als Basis für die Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle 

Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen: Wer soll das bezahlen?

In einer Ampel-Koalition soll es keine neuen Substanzsteuern geben. Steuern wie zum Beispiel die Einkommen-, Unternehmens- oder Mehrwertsteuer sollen nicht erhöht werden. Mit Superabschreibungen für Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung will besonders die FDP der Konjunktur einen Schub geben. 

Die geplanten Zukunftsinvestitionen, insbesondere Ausgaben für Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Forschung sowie die Infrastruktur, wollen die Ampel-Unterhändler trotzdem im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse gewährleisten. 

Was ist die Schuldenbremse?

Die Schuldenbremse wurde 2011 im Zuge der Föderalismusreform im Grundgesetz eingeführt:

Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. 

- Artikel 109 Absatz 3 Grundgesetz (GG)

Die Schuldenbremse folgt der Regel des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts und des Fiskalvertrages. Die Haushalte der Mitgliedstaaten müssen demnach „annähernd ausgeglichen sein oder einen Überschuss aufweisen“.

Schuldenbremse light: Corona-Puffer bis 2023

Die Schuldenbremse kann in bestimmten Ausnahmesituationen außer Kraft treten. Gemäß Artikel 115 GG Absatz 2 gilt dies im Fall von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, wie z.B. die Corona-Pandemie.

Tritt ein solches Ereignis ein, kann die Obergrenze  für die strukturelle Nettokreditaufnahme von 0,35% des BIP aufgrund eines Beschlusses des Bundestages nach Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 des Grundgesetzes überschritten werden. Dieser Beschluss erfolgt auf der Basis eines Tilgungsplans zur Rückführung der Mittel in einem angemessenen Zeitraum.

Die Bundesregierung hat für den Bundeshaushalt 2020 und für den Bundeshaushalt 2021 von dieser Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht. Die Rückführung der Corona-Kredite erfolgt gemäß Tilgungsplan jeweils von 2023 bis 2042 (Bundeshaushalt 2020) sowie von 2026 bis 2042 (Bundeshaushalt 2021).

Im bereits den Bundestagswahlkampf bestimmenden Schlagabtausch um die besten Mittel zur Lösung dieses Konflikts kommt jetzt neue Bewegung. Dass sich Zukunftsinvestitionen und nachhaltige Staatsfinanzen nicht ausschließen, zeigt sich nicht nur beim Blick auf den schmalen Zeithorizont, der bis zum Beginn der ersten Tilgungsphase ab 2023 durchaus eine günstige Gelegenheit für neue Kredite böte. 

Mit den federführenden Überlegungen der FDP-Fraktion setzen die Ampel-Anwärter zunächst auf andere Finanzierungsformen. Dazu zählen vor allem der Kampf gegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Steuervermeidung, die geplante Einführung der globalen Mindestbesteuerung sowie die Streichung bestimmter Subventionen:

Wir wollen zusätzliche Haushaltsspielräume dadurch gewinnen, dass wir den Haushalt auf überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben überprüfen.

- Auszug Sondierungsbeschluss

Dass die Entscheidung, welche Subventionen in der neuen Legislatur als überflüssig, unwirksam und klimaschädlich eingestuft werden könnten, nicht leicht zu treffen ist, zeigt z.B. ein Blick auf die Liste der dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Gegenstände gemäß Umsatzsteuergesetz (UStG) Anlage 2 (zu § 12 Absatz 2 Nummer 1, 2, 12, 13 und 14). Hier finden sich u.a. auch Güter des Grundbedarfs wie Milch, Eier und Kartoffeln. Deren reguläre Besteuerung zum Zwecke zusätzlicher Staatseinnahmen ist grundsätzlich möglich, dürften jedoch den ausdrücklich sozialen Charakter des neuen Regierungsbündnisses am ehesten torpedieren.

Deutlich mehrheitsfähiger erscheint die Anpassung von Steuervergünstigungen im Bereich Mobilität durch u.a. den möglichen Wegfall der steuerlichen Begünstigung von Dieselkraftstoff (Dieselprivileg), Veränderungen bei der Entfernungspauschale oder durch den Abbau von Steuervorteilen für bestimmte Dienstwagen.

In den kommenden Tagen wird der neue Bericht des Umweltbundesamt über klimaschädliche Subventionen erwartet. Mit diesem spitzt sich der Kreis der zu überprüfenden Kandidaten für eine Ausgabenkürzung weiter zu. Angesichts erwartbarer Mehreinnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe kein ganz kleiner Schritt in das erklärte Fortschrittsjahrzehnt.

Die kommenden Wochen bleiben in jedem Fall spannend. Über den Fortgang der Koalitionsgespräche halten wir dich hier auf dem Laufenden.

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Über den Autor

Kathleen Händel

Kathleen schreibt im Magazin von Zandura und Unternehmenswelt über die wichtigsten News für Gründer und junge Unternehmen. Digitale Trends, Tipps für deine Marke, Gründungs- und Wachstumschancen erfährst du hier. Zuvor war Kathleen für Social Start-ups, Stiftungen und digitale Plattformen redaktionell verantwortlich. Seit 2019 ist Kathleen Chefredakteurin von Zandura.

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