· Achtsamkeit & Resilienz

Achtsamkeit als unternehmerische Schlüsselkompetenz

Es sollte nicht erst die Diagnose Burnout sein, die dauerbelastete Unternehmer zur Überprüfung ihrer KPIs auffordert. Selbstständige, die das Prinzip der Achtsamkeit praktizieren, können Stressoren frühzeitig erkennen und bewältigen und stärken so ihre Widerstandskraft im Wettbewerb. So nutzt du die "Frische des Augenblicks" für mehr Resilienz im Betriebsalltag.

Freiheitsstrategie für Selbstständige

Achtsamkeitsübungen schärfen den Fokus für das Wesentliche

Was bedeutet unternehmerische Achtsamkeit?

Um unternehmerische Achtsamkeit definieren zu können, müssen wir uns zunächst dem Begriff der "Achtsamkeit" an sich zuwenden:

Achtsamkeit (english: mindfulness) ist ein Zustand von Geistesgegenwart, in dem ein Mensch hellwach die gegenwärtige Verfasstheit seiner direkten Umwelt, seines Körpers und seines Gemüts erfährt, ohne von Gedankenströmen, Erinnerungen, Phantasien oder starken Emotionen abgelenkt zu sein, ohne darüber nachzudenken oder diese Wahrnehmungen zu bewerten.

- Wikipedia

Achtsamkeit als philosophisches Prinzip und mentale Technik ist historisch stark mit dem Buddhismus und der Meditationspraxis verknüpft. Das Üben von Achtsamkeit ist darüber hinaus auch Bestandteil westlich geprägter Verfahren zur Psychotherapie. Dass dennoch gravierende Unterschiede zwischen diesen beiden Strömungen bestehen, bemerken führende Vertreter der praktischen Achtsamkeitsforschung, die in beiden Welten zuhause sind. 

In einem Dialog zum Thema "Hirnforschung und Meditation" (Suhrkamp, 2008) führen Wolf Singer, einer der weltweit renommiertesten Hirnforscher und Matthieu Ricard, Molekularbiologe, buddhistischer Mönch und Vertrauter des Dalai Lama, wesentliche Erkenntnisse der Neurowissenschaften und der kontemplativen Wissenschaft (Buddhismus) zusammen und fördern den interdisziplinären Austausch.

Die Forscher tauschen sich aus u.a. über Fragen nach dem Ursprung des menschlichen Geistes, die Kultivierung von Aufmerksamkeitsmechanismen bis hin zu neuronal sichtbaren Auswirkungen der Langzeitmeditation. 

Wer bin ich und wenn ja, wie viele?

In der Begegnung westlicher und fernöstlicher Traditionen treten auch fundamentale Unterschiede zutage, z.B. in der Auffassung darüber, was "Bewusstsein" als Quelle von Aufmerksamkeit tatsächlich ist. Zwar ziele praktizierte "Mindfulness" innerhalb einiger westlicher Therapieverfahren gleichsam auf die Bewältigung von Konflikten mithilfe von Achtsamkeitsübungen. In der Auffassung der zugrunde liegenden Strukturen des Geistes bzw. des Bewusstseins herrscht jedoch weit weniger Übereinkunft. Dies wird besonders augenscheinlich am vergleichenden Beispiel von tradierten Glaubensgrundsätzen in der Psychotherapie und den geistigen Ursprüngen der Meditation:

Weil die eigentliche Natur des Geistes "reines Gewahrsein" oder "reine Kognition" ist, haben wir aus buddhistischer Perspektive immer das Potenzial, uns zu verändern, unabhängig davon, was wir jetzt sind und was wir waren. (...) Was die Psychoanalyse angeht, so fühle ich mich hier nicht wirklich kompetent, aber es scheint mir doch, dass die thematisierten Tiefen des Unbewussten aus kontemplativer Perspektive lediglich die äußeren Schichten von Wolken sind, die durch geistige Verwirrung hervorgerufen werden und einen daran hindern, mit der Tiefenstruktur des Geistes in Berührung zu kommen.

- Matthieu Ricard über die buddhistische Auffassung der Natur des Geistes

Ricard fragt sich folgerichtig, wie es in einem Zustand reinen Gewahrseins so etwas wie einen unbewussten, in der Regel problematisierten Zustand überhaupt geben kann und ermutigt die Leserschaft zur Eigenverantwortung und dem Ergreifen günstiger Gelegenheiten in einem Meer der Möglichkeiten:

Wenn man sich vor Augen hält, was beim Wiederkäuen geschieht (Anm. d. Red.: die Psychotherapie), wird sofort deutlich, wie schädlich es ist. Wir müssen uns von den mentalen Kettenreaktionen frei machen, die durch die Grübelei ins Unendliche fortgesetzt werden. Wir müssen lernen, die Gedanken kommen und gehen zu lassen, statt ihnen zu gestatten, immer wieder von uns Besitz zu ergreifen. Wir müssen lernen, in der Frische des Augenblicks zu verweilen - das Vergangene ist vorbei, die Zukunft noch nicht erschlossen, und wenn man in reiner Achtsamkeit und Freiheit verharrt, dann kommen die störenden Gedanken, aber sie gehen auch wieder, ohne Spuren zu hinterlassen - das ist Meditation.

- Matthieu Ricard über die "Frische des Augenblicks"

Wie können Selbstständige Achtsamkeit trainieren?

So individuell deine Unternehmerpersönlichkeit, so vielseitig die Techniken zur Ausbildung von mehr Achtsamkeit im Alltag. Ob du eine Affinität zur Wissenstradition und Körperarbeit der Meditation hast oder nicht, ist nicht ausschlaggebend, um einige der historisch bewährten Atem- oder Körperübungen frei zu adaptieren. 

Individuelle Coachings und Webinare mit Praktikern aus der Unternehmenswelt sind ebenfalls eine Möglichkeit, um buchstäblich starre Strukturen aufzubrechen, wenn sich konstante Überlastungssituationen bereits in den Körper eingeschrieben haben und deine Leistungsfähigkeit in Form von z.B. Rückenschmerzen, Ruhe- und Schlaflosigkeit bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen beeinträchtigen. 

Je nach persönlichem Wertekanon findest du Experten, die Achtsamkeit und Empathie als einen Mix aus sinnstiftenden und körperlich ertüchtigenden Maßnahmen kombinieren. Was zählt, ist die Bereitschaft zur Veränderung, aber auch die buchstäbliche Chemie zwischen dir und deinem Coach.

Achtsamkeitsseminare?: Das ist doch was für Esoteriker

Meditation, Yoga oder japanischer Stockkampf mit dem gesamten Team? Für viele Branchen erfüllt das Training von Achtsamkeit nicht die gleiche Priorität wie der Blick auf die Quartalszahlen. Verkannt werden die positiven Effekte einer Investition in die Persönlichkeitsentwicklung zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zukunftsfähiger Geschäftsmodelle.

Welche Vorteile hat das Training von Achtsamkeit für Unternehmen?

Als Soloselbstständige oder Unternehmer musst du jeden Tag schnelle Entscheidungen treffen und trägst dabei das volle Risiko. Ein hohes Arbeitspensum und die häufig starke emotionale Bindung in kleinen inhabergeführten Unternehmen kann bei großem äußeren Druck oder spontanen Verwerfungen in der Geschäftswelt (z.B. COVID-19) zu Belastungsstörungen bis hin zum Burnout führen. 

Das Training von Achtsamkeit ist wertschöpfend für u.a. die folgenden unternehmerischen Kompetenzen:

  • Bessere und konstante Konzentrationsfähigkeit für klare Entscheidungen
  • Positiver Umgang mit Stress, Versagensängsten oder inneren Blockaden
  • Schnelle Unterscheidungsfähigkeit zwischen Wichtigem und Nichtigem
  • Mehr Raum für unternehmerische Kreativität durch Spontanität und Innovationsfreude
  • Stärkung der allgemeinen Fähigkeit zur Resilienz trotz sich rasch verändernder äußerer Einflüsse
  • Befähigung zur Empathie als achtsame Führungspersönlichkeit

Es geht nicht darum, keine Emotionen zu haben, sondern sich nicht von ihnen versklaven zu lassen. Lasse die Emotionen zu, aber halte sie frei von konfliktträchtigen Affekten: der Verzerrung der Wirklichkeit, mentaler Verwirrung, Festhaltenwollen und Leid. Es hilft einfach, von Zeit zu Zeit den Zustand reinen Gewahrseins aufzusuchen und sich innerlich auf ihn zu beziehen, wenn sich die konfliktbeladenen Emotionen einstellen. Somit lässt sich verhindern, von ihnen erfasst und weggeschwemmt zu werden, und der Zustand reinen Gewahrseins im gegenwärtigen Augenblick kann erhalten bleiben.

- Matthieu Ricard über den achtsamen Umgang mit schwierigen Emotionen

Die regelmäßige Praxis von Achtsamkeitstechniken unterstützt dich darin, unliebsame Angewohnheiten und allgemein Stressoren nachhaltig zu bewältigen und in der "Frische des Augenblicks" präsent und entscheidungsfähig zu sein.

Warum ist achtsame Führung wichtig?

Die AOK zählte 2018 durchschnittlich 5,7 Arbeitsunfähigkeitsfälle je 1.000 Mitglieder aufgrund einer Burn-out-Diagnose (Quelle: Statista). Damit hat sich die Diagnosehäufigkeit im letzten Jahrzehnt beinahe verdreifacht. Auch das Krankheitsvolumen dieser Diagnosegruppe hat sich rapide erhöht: Waren es 2005 noch 13,9 Krankheitstage, registrierte die AOK 2018 bereits 120,5 AU-Tage je 1.000 Mitglieder. Hochgerechnet auf alle gesetzlich krankenversicherten Beschäftigten ergeben sich daraus für 2018 rund 176.000 Burn-out-Betroffene mit kulminierten 3,9 Millionen Krankheitstagen. 

Weniger Krankenstand, zufriedenere Beschäftigte & Arbeitgeber-Plus

Chefinnen und Chefs, die achtsam führen, können bereits früh die ersten Anzeichen eines Burnout wie z.B. chronische Erschöpfung, Antriebslosigkeit, Gereiztheit oder Vertrauensverlust nicht nur an sich selbst, sondern auch unter ihren Beschäftigten erkennen.

Das Üben von Achtsamkeitstechniken bzw. eine wertschätzende Führungskultur reduzieren deinen Krankheitsstand und sorgen für ein gutes Betriebsklima, dessen zufriedene Beschäftigte ein positives Arbeitgeber-Image pflegen (Stichwort: Fachkräftemangel).

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Über den Autor

Kathleen Händel

Kathleen schreibt im Magazin von Zandura und Unternehmenswelt über die wichtigsten News für Gründer und junge Unternehmen. Digitale Trends, Tipps für deine Marke, Gründungs- und Wachstumschancen erfährst du hier. Zuvor war Kathleen für Social Start-ups, Stiftungen und digitale Plattformen redaktionell verantwortlich. Seit 2019 ist Kathleen Chefredakteurin von Zandura.

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